Leitfaden/Handreichung zum Umgang mit Konflikten in der Landeskirche Hannover (insbesondere bei "Versetzung aufgrund einer nachhaltigen Störung" §§79 und 80 PfDG.EKD)
Mai 2024
Die Pfarrvertretung Hannover strebt einen Kulturwandel im Umgang mit Konflikten in der Kirche an: Wir sind der Überzeugung, dass Konflikte ein "Motor der Veränderung"(1) mit erheblichen Innovationspotential sein können.In einer fehlerfreundlichen, lernenden Organisation, die sich maßgeblich auf das Versöhnungshandeln Jesu Christi beruft, müssen Konflikte und verdeckte Themen nicht schambesetzt tabuisiert werden, sondern dürfen in einer fairen Streitkultur in angemessener Form offen besprochen werden.
Die Art der Verdrängung, die einhergeht mit Personalisierungen, die oft in hohem Maß emotionalisiert werden, und die schnell Versetzungsverfahren in Gang setzen, bedarf einer inneren und äußeren Reform.
Professionelle Konfliktberatung
Ist ein sich auswachsender, gravierender Konflikt zwischen Kirchenvorstand und Pfarrstelleninhaber*in in der Frühphase zu erkennen, so muss vom Superintendent/von Superintendentin unverzüglich eine professionell ausgebildete Person eingeschaltet werden, um bereits in diesem Stadium für geordnete und transparente Kommunikationsstrukturen, Möglichkeiten der Konfliktbefriedung, Deeskalation und Lösungsmöglichkeiten zu sorgen. Dabei ist eine Haltung der Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Empathie und Sachlichkeit vonnöten.
Die Pfarrvertretung als Begleitung der Pfarrperson ist bereits im Anfangsstadium einzuschalten: Die leitenden Personen sind verpflichtet, die betroffene Pfarrperson frühzeitig auf die Möglichkeit der Beteiligung der Pfarrvertretung gemäß PAG §10 hinzuweisen.
Rollenklarheit/Zuständigkeiten
Häufig kommt es zu Rollenkonfusionen, die das Konflikt-Karussell für alle beteiligten Personen beschleunigt. Insbesondere die Rollen, Funktionen und die Kompetenzen von Superintendent*innen/Pröbst*innen und Regionalbischöf*innen sind nach unserem Eindruck nicht klar und bedürfen zum Schutz der betroffenen Kolleg*innen einer verlässlichen Klärung: Inwieweit können sie „Seelsorger*innen der Betroffenen“, Gesprächspartner*innen und Dienstvorgesetzte zugleich sein? Wann ist der/die zuständige Superintendent*in überfordert, befangen, „Teil des Problems“ und muss im Konfliktfall aus dem Fall herausgenommen werden (hier wäre auch die Frage nach der Übertragung auf einen der Stellvertreter*innen zu klären)? Häufig fehlt in diesem Fall eine transparente Zuständigkeit, die aktiv und initiativ von Leitungspersonen wahrgenommen wird.
Unabhängige neutrale Petitionsstellen, Clearingsstelle,
Schlichtungsstelle oder Ombudspersonen
Da die Kommunikation innerhalb der Kirche oft zu Kommunikationsstörungen führt, sollte es in verfahrenen Situationen die Möglichkeit geben, sich an eine externe Stelle zu wenden, die hilft, den Konflikt zu "sortieren", ggfs. Entscheidungsträger in die Schranken weist.
Nach unserer Wahrnehmung geht es in den meisten Fällen nicht um die Konfrontation einer sehr starken Gemeindegruppe gegen die Pfarrperson. Es geht meistens um Streit im Kirchenvorstand, oft zunächst über sachliche Fragen, die dann von einzelnen Personen in eine Antihaltung gegen die Pfarrperson persönlich hochgezogen werden. Um die Gruppendynamik, verborgene Strukturen und geheime Themen zu dechiffrieren, fehlt es oftmals an Fachwissen und Erfahrung, aber auch an Mut, um einen solchen Fall an Stellen zu delegieren, die eine unabhängige und fachkompetente Begleitung übernehmen. Deshalb müssten unbedingt entsprechende Petitionsstellen, Clearingstellen oder Schlichtungs-/Ombudspersonen eingerichtet werden, die eine externe Untersuchung übernehmen, um solche Konflikte aufzuklären mit dem Ziel, die Verhältnisse für alle Beteiligten zu befrieden.
Die Frage, wer diese Petitionsstellen einschaltet, wo sie in der Hierarchie angesiedelt sind und wem sie unterstellt sind, ist eine zentrale Frage, wenn zukünftig ein professioneller Umgang mit Konflikten in der Kirche angestrebt werden soll.
Schulungen für kircheneitende Personen (Superintendent*innen, Regionalbischöf*innen, Personaldezernat
Die Analyse von Konflikten geht zumeist nicht von einer Unschuldsvermutung der betroffenen Pfarrperson aus, sondern oft versuchen leitende Personen aus einer gewissen Hilflosigkeit heraus das Problem schnell zu "lösen", indem sie die Versetzung, ein sogenanntes "gentleman agreement" anbahnen, angeblich zum Schutz der Pfarrperson. Dennoch bedient sich die Sprache in den Schriftstücken des Landeskirchenamtes dabei oft sehr schnell kriminalisierender Begriffe ("Untersuchungen", "ermitteln"), die im Anfangsstadium eines Konfliktes unangemessen sind. Kirchenleitende Personen(miss-)verstehen ihre Fürsorgepflicht gemäß §47 PfDG.EKD in solchen Fällen meisthin nicht als die ihnen obliegende Pflicht, sich zuallererst schützend vor die Pfarrperson zu stellen, sondern diese möglichst schnell aus der Kirchengemeinde zu entfernen. Im Sinne einer systemischen Betrachtung ist diese "Lösung" kurzsichtig, eindimensional, undifferenziert und wird in den allermeisten Fällen der Situation nicht gerecht. Die nicht gelösten Konflikte verlassen die Gemeinde mit der Pfarrperson oftmals nicht, sondern suchen sich neue Kanäle. In der systemischen Arbeit wird da von "parasitären Sozialsystemen"(2) gesprochen, die sich über viele Jahre toxisch auswirken können. Schulungen für kirchenleitende Personen und die Verankerung des Themas in der Vikariatsausbildung könnten dafür sorgen, dass die Vorgehensweise in Zukunft angstfreier und professioneller wird.
Verfahrenssicherheit/Schutz vor Missbrauch
Das Versetzungsverfahren nach §79 und 80 muss vor Missbrauch geschützt werden. Um eine Rechtssicherheit für die Pfarrperson zu gewährleisten, braucht es ein geordnetes Verfahren mit Regeln, ähnlich wie im Disziplinarrecht mit einer begründeten Anklage, Anhörungsrecht, mündliche Verhandlung, Rechtsbeistand, Zeugen, Beweise, damit Nachprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit für alle Beteiligten gegeben sind. Der explizite Passus im aktuellen Gesetz §80, 1 und 3, dass ein Fehlverhalten aufseiten der Pfarrperson nicht vorliegen muss, ist mehr als fragwürdig und öffnet Vermutungen und Gerüchten, aber auch Willkür Tür und Tor. Die Begriffe Nichtgedeihlichkeit, nachhaltige Störung sind in dieser Form unbestimmte Rechtsbegriffe.
Als Prinzip muss grundsätzlich gelten: objektive, überprüfbare und nachvollziehbare Gründe, keine Anwürfe, keine Emotionalisierungen, keine verkappten Verfahren nach §§79-80.
Rücktritt/Abberufung des Kirchenvorstandes oder einzelner Kirchenvorsteher*innen
Die Kirchenvorstandsmitglieder sollten bei einem Verfahren aufgrund einer nachhaltigen Störung §79 und 80 ihr Amt zur Disposition stellen, da aus Sicht der systemischen Beratung stets alle Beteiligten in den Konflikt involviert sind.
Ist nach einer gründlichen Analyse des Konflikts ersichtlich, dass Mitglieder des Kirchenvorstandes in dysfunktionaler oder maligner Weise gegen die Verschwiegenheitspflicht verstoßen, Halbwahrheiten, Denunziationen verbreiten, in destruktiver Weise den Konflikt eskaliert oder Misstrauen gesät haben, soll der KKV oder das LKA eine Abberufung vornehmen können.
Eine Abberufung ist geboten, wenn sich der Kirchenvorstand oder einzelne Mitglieder einer Beratung oder Konfliktmoderation entziehen oder sie offen ablehnen.
Das Verfahren nach §79 und 80 PfDG.EKD sollte auf EKD-Ebene (EKD, VELKD, Synoden, Pfarrvereine, Pfarrvertretungen, Pfarrerverband) in Symposien, Tagungen und anderen Veranstaltungen gemeinsam mit Staatsrechtler*innen, Arbeitsrechtler*innen und außerkirchlichen Personaler*innen gründlich überprüft werden, gffs. an außerkirchlichen Orten. Dazu zählt in erster Linie eine fundierte Information über Geschichte und Hintergründe des Gesetzes, das 1953 im Deutschen Beamtengesetz außer Kraft gesetzt wurde. Eine Angleichung dieses noch immer kirchlichen Gesetzes mit dem Beamtengesetz, in dem dieser Passus nach dem Missbrauch im Nationalsozialismus entfernt wurde, sollte perspektivisch ins Auge gefasst werden.
Maßgebliche Vorschriften des Kirchenrechts, wie die Regelungen des Ungedeihlichkeits- und Wartestandrechts, missachten die – nur in gesetzlichen Ausnahmefällen einschränkbaren – jeder Person zustehenden Grundrechte unserer Staatsverfassung.
Dr. Hanns Lang
Jurist der "Starnberger Initiative zur Reform des Kirchenrechts"
Diese Erklärung wurde in der Sitzung 4.12.2023 in Hannover von der Pfarrvertretung Hannover beschlossen und verabschiedet und entstand bei einem Studientag im Sommer 2023 mit Prof. Dr. Arist von Schlippe in Zusammenarbeit mit Dr. Hans-Gerd Krabbe, D.A.V.I.D. e.V.
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(1) Arist v. Schlippe, Karussell der Empörung, S. 21ff
(2) Niklas Luhmann in Arist v. Schlippe, Karussell der Empörung, S. 28f.
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