Für einen Kulturwandel im Umgang mit Konflikten in der Evangelischen Kirche in Deutschland - Pressemitteilung der »AG 79.80«
19. Juni 2024
Die sogenannten "Ungedeihlichkeitsparagraphen"und das Pfarrdienstgesetz der EKD mit den §§ 79 und 80
Pressemitteilung der »AG 79.80«
Die Pfarrvertretung Hannover hat im Frühjahr 2024 Mitgliedern der Kirchenleitung in der Hannoverschen Landeskirche einen »Leitfaden/eine Handreichung zum Umgang mit Konflikten in der Landeskirche« vorgestellt (s. Stellungnahmen). Darin heißt es: »In einer fehlerfreundlichen, lernenden Organisation, die sich maßgeblich auf das Versöhnungshandeln Jesu Christi beruft, müssen Konflikte und verdeckte Themen nicht schambesetzt tabuisiert werden, sondern dürfen in einer fairen Streitkultur in angemessener Form offen besprochen werden. Die Art der Verdrängung, die einhergeht mit Personalisierungen, die oft in hohem Maß emotionalisiert werden, und die schnell Versetzungsverfahren in Gang setzen, bedarf einer inneren und äußeren Reform.«
Damit geraten die seit langen Jahren umstrittenen §§ 79 und 80 des Pfarrdienstgesetzes der EKD in den Fokus.
Am 10. und 11. Juni 2014 hat sich dazu eine zwölfköpfige Arbeitsgruppe unter der Federführung von Pastorin Ellen Kasper (Vorsitzende der Pfarrvertretung Hannover) und Pfarrer em. Dr. Hans-Gerd Krabbe (Achern/Baden) in Kassel konstituiert, in der einige Landeskirchen vertreten sind. Dabei wurde der Leitfaden der Pfarrvertretung Hannover erstmals für die Öffentlichkeit präsentiert und in einem Kreis von Pfarrerinnen und Pfarrern besprochen, die langjährige Erfahrungen in der Vertretung von Pfarrerinnen, Pfarrern und weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bereich der EKD haben und die Anliegen des Leitfadens teilen. Ziel ist es, den in vielen Fällen erlebten Schaden für Pfarrpersonen und ihre Familien, aber auch für die Kirche insgesamt bewusst wahrzunehmen und nach neuen Wegen der Konfliktbearbeitung zu suchen.
Die stete Begründung eines "gestörten Vertrauens", die für §§79-80 in fast allen Fällen zugrunde gelegt wird, öffnet Willkür und Machtmissbrauch Tür und Tor. Da "Vertrauen" und "Beziehung" keine juristischen Termini sind, ist ein Rechtsstreit nahezu unmöglich zu versachlichen.
Der Leitfaden plädiert für professionelle Konfliktberatung, für Rollenklarheit, für unabhängige Petitionsstellen, für Schulungen für kirchenleitende Personen, für Verfahrenssicherheit, für die Möglichkeit der Abberufung von Kirchenvorständen – und zitiert Dr. Hanns Lang: "Maßgebliche Vorschriften des Kirchenrechts wie die Regelungen des Ungedeihlichkeits- und Wartestandsrechts missachten die - nur in gesetzlichen Ausnahmefällen einschränkbaren - jeder Person zustehenden Grundrechte unserer Staatsverfassung."
Mit der Bitte um Überarbeitung der vormals sog. „Ungedeihlichkeitsparagraphen" – nun in der neuen Fassung der §§ 79 und 80 im Pfarrdienstgesetz der EKD (PfDG.EKD) vom November 2010 als »nachhaltige Störung« benannt – hatte sich Pfarrer em. Dr. Hans-Gerd Krabbe im August 2022 mit einer Eingabe an die dienstrechtliche Kommission der EKD gewandt. Diese Eingabe hatte Krabbe ergänzt a) mit einer Dokumentation im Rahmen seiner Tätigkeit als Berater für den Verein ›D.A.V.I.D gegen Mobbing‹ (Januar 2023) und b) mit "Acht Anmerkungen" (April 2023).
Seitdem steht das Thema 79.80 auf der Agenda der dienstrechtlichen Kommission – seitdem beschäftigen sich Pfarrvereine und Pfarrvertretungen aus den zwanzig Gliedkirchen im Bereich der EKD damit.
Am 24. September 2023 beschloss die Konferenz der Pfarrvertretungen in Hofgeismar, dass die Gliedkirchen verbindliche Ausführungsbestimmungen für die Verfahren erlassen: »Der Verband Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland fordert daher die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf, in § 80 PfDG.EKD einen Absatz 3 (neu) einzufügen: ›Für die erforderliche Erhebung nach Abs. 2 erlassen die Gliedkirchen und gliedkirchlichen Zusammenschlüsse Ausführungsbestimmungen.‹«
Am 15.6.2024 hat der Verband Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland beschlossen sich das für 2025 geplante Symposion zu eigen gemacht und hat sich damit als Veranstalter hinter das Projekt gestellt.
In seiner Eingabe schreibt H.-G. Krabbe: »Es darf aufgrund kirchlicher Gesetze doch wohl nicht sein, dass allein schon ein Mehrheitsbeschluss im Kirchengemeinderat ausreicht, um eine »nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes« festzustellen und ein Versetzungsverfahren gegen den Pfarrer auszulösen, ohne dass der Pfarrer dazu vorher im Kirchengemeinderat angehört wird und Stellung nehmen kann / ohne dass eine konkrete Begründung für diese ›Störung‹ angegeben wird / ohne dass der Pfarrer die Möglichkeit erhält, sich zu wehren und zu verteidigen und begründet zu klagen. Diese Rechte müss(t)en ihm doch wohl eingeräumt werden, wenn es denn fair und korrekt zugehen soll.« Und: »Wie ist dies zu bewerten
- wenn allein die Behauptung der ›Zerrüttung‹ ausreicht, ohne dass nach Ursachen geforscht wird
- wenn Vorwürfen nicht mehr nachgegangen werden muss, der Inhalt des Konflikts nicht mehr geklärt werden muss
- wenn da niemand für seine Aussagen zur Rechenschaft gezogen wird, ja, sogar geheim bleiben darf
- wenn die Schuldfrage »unerheblich« ist / der Pfarrer in den sog. ›Wartestand‹ versetzt werden soll und ggf. gar in den vorzeitigen Zwangsruhestand
Wohlgemerkt: All dies ohne die Angabe von konkreten Gründen, ohne Überprüfung, ohne Schuldvorwurf, ohne Schuldnachweis. Man möchte entsetzt reagieren mit den Worten: ›Das kann (in einem Rechtsstaat) doch wohl nicht wahr sein!‹ Jedoch: Keine Pfarrerin und kein Pfarrer kann sich darin sicher sein, dass ihr bzw. ihm so etwas nicht widerfährt.«
Die nächste Tagung der ›Arbeitsgruppe 79.80‹ wird im 16.-17.9.2024 erneut in Kassel stattfinden. Für das Jahr 2025 ist ein Symposium geplant.
f.d.R.: Dr. Hans-Gerd Krabbe
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